Schlachtschiff Tirpitz: Wie das NS-System funktionierte…

Vor 75 Jahren versenkten die Briten die Tirpitz – weil sich die Admirale gegen Hitler durchgesetzt hatten

Schlachtschiff Tirpitz gekentert als Wrack im Sandnessfjord
Das zerstörte Schlachtschiff Tirpitz in Norwegen – © Imperial War Museum UK

Am 12. November jährt sich die Versenkung der Tirpitz, des letzten deutschen Schlachtschiffs, zum 75sten Mal. Nach einem Angriff britischer Bomber ließen im November 1944, knapp sechs Monate vor Kriegsende, 971 Mann im eisigen Wasser des Sandnessunds in Nordnorwegen ihr Leben. 806 Besatzungsmitglieder überlebten. Darunter waren 87, die innen im gekenterten Schiff in Richtung Kiel nach oben kletterten und durch Löcher, die Retter von außen in den Schiffsboden schweißten, befreit werden konnten.

Die Vernichtung der Tirpitz, die Churchill angeblich “the beast” nannte, markiert eine Zäsur in der Geschichte der Kriegstechnologien: Die Zeit dominierender Schlachtschiffe war nach nur neunzig Jahren vorüber. Die Luftwaffe war mit panzerbrechenden Bomben fortan überlegen.

Bemerkenswert am Schicksal der Tirpitz ist aber auch, dass ihr Ende ein Lehrstück über den Nationalsozialismus abgibt: Wäre es nämlich nach Adolf Hitler gegangen, wäre das Schiff im November 1944 längst abgewrackt gewesen oder hätte sicher in der Ostsee gelegen. Doch das Oberkommando der Kriegsmarine setzte sich gegen den Führer immer wieder durch und beließ das Schlachtschiff schließlich in der Risikozone des militärisch von den Deutschen kaum noch gehaltenen Nordens Norwegens. Dort musste es unweigerlich verloren gehen.

Die Auseinandersetzungen zwischen der deutschen Admiralität und Hitler sind aus Sicht historischer Analyse insbesondere deshalb so interessant, weil sie eine Legende konterkarieren: jene von der alleinigen Entscheidungsgewalt Hitlers und damit seiner alleinigen Verantwortung. Ohne Hitler damit auch nur im Geringsten zu exkulpieren, kann man an den Ereignisse ablesen, dass der Nationalsozialismus und seine Verbrechen auf vielen Schultern lasteten.

Die neunzig Jahre, in denen Schlachtschiffe Kriege entschieden, fallen recht genau zusammen mit dem Aufbau einer deutschen Flotte. Dieses “große nationale Werk”, wie Kaiser Wilhelm I es einst bezeichnete, führte zugleich zur Schaffung einer mächtigen Institution, des Oberkommandos der Marine. In seinen hierarchischen Strukturen konservierte es die Idee der Unbesiegbarkeit dick gepanzerter und mit gigantischen Geschützen ausgerüsteter Schlachtschiffe. Das Oberkommando wurde bis zur Kapitulation von der sogenannten “Dickschifffraktion” dominiert.

Anders als die Admiralität erkannte Hitler jedoch mit dem Verlust eines jeden weiteren Großschiffs immer klarer, dass die gepanzerten Kolosse wenig zu den erhofften militärischen Erfolgen beizutragen hatten. Vielmehr bedeutete jede Versenkung eine psychologische Schwächung der deutschen Kampfmoral – sowohl in der Wehrmacht als auch in der Bevölkerung.

Im Verlauf des Krieges entpuppten sich die wenigen deutschen “Dickschiffe” immer mehr als Achillesferse der Seekriegsführung: Im Dezember 1939 versenkte sich das Panzerschiff Admiral Graf Spee angesichts einer englischen Übermacht im Rio de la Plata in aussichtsloser Lage selbst. Im April 1940 schickten norwegische Torpedos den Schwere Kreuzer Blücher auf den Grund des Oslofjords. Im Mai 1941 stellten die Alliierten das Schlachtschiff Bismarck im Nordatlantik, wo es nach einem Gefecht sank. Im Februar 1942 wurde das Schlachtschiff Gneisenau, das nach einem Bombentreffer in Kiel zur Reparatur auf der Werft lag, durch einen weiteren Bombenangriff so schwer beschädigt, dass es danach nie mehr zum Einsatz kam. Am Silvestertag 1942 versenkten die Briten in der Barentssee den Zerstörer Friedrich Eckoldt und beschädigten den Schweren Kreuzer Admiral Hipper so schwer, dass er danach keine weiteren Kriegseinsätze mehr absolvieren konnte. Das Schlachtschiff Scharnhorst wurde am zweiten Weihnachtstag 1943 nahe des Nordkaps von britischen Schiffen versenkt.

Bereits Ende 1941 stellte Hitler den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, vor die Alternative, die im deutschen Stützpunkt Brest liegenden Schlachtschiffe und Schweren Kreuzer in sicherere Gewässer an deutschen und norwegischen Küsten zu verlegen – oder sie würden außer Dienst gestellt und “desarmiert”. Raeder schrieb an Hitler: “Von einer Außerdienststellung und Desarmierung der Schiffe in Brest muß ich mit allem Ernste abraten.” Die Schiffe wurden in einer tollkühnen Aktion verlegt. Ein Jahr später, nach dem Desaster um die Schiffe Friedrich Eckoldt und Admiral Hipper verlangte Hitler erneut die Außerdienststellung und Desarmierung. Es kam zu einem persönlichen Streit, woraufhin Raeder – mitten in der entscheidenden Phase des zweiten Weltkrieges – als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine zurücktrat.

Nachfolger wurde am 30. Januar 1943 Großadmiral Karl Dönitz, zuvor Chef der U-Boot-Flotte. Er wird mit den Worten zitiert: “Die Auffassung des Führers, daß die Marine durch die Überwasserkriegsführung moralisch belastet wird, muß durch eine Tat mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden”. Aus der Seekriegsleitung hieß es wenig später, der Großadmiral habe sich “beim Führer gegen Widerstände durchgesetzt”. Die Großschiffe verblieben im Dienst.

Am 17. Juli 1944 konnte die im Kåfjord nahe dem Nordkap ankernde Tirpitz einen Luftangriff der Briten gerade noch abwehren. Hitler plädierte zwei Tage später dafür, das letzte deutsche Schlachtschiff in die Ostsee zu verlegen. Doch die Kriegsmarine verweigerte sich erneut. An den Rand des Sitzungsprotokolls notierte der Chef der Seekriegsleitung, Admiral Wilhelm Meisel, ein großes “Nein”.

Zwei Monate später, am 15. September 1944, beraubte ein britischer Bombentreffer die Tirpitz ihrer Seetüchtigkeit. Notdürftig repariert und nur noch zu langsamer Fahrt in der Lage wurde das Schiff in die Nähe von Tromsø beordert, um dort als “schwimmende Batterie” zu fungieren. Kommandant Wolf Junge wandte sich verzweifelt an die Seekriegsleitung und empfahl die Aufgabe des Schiffes: “Ein weiteres Verharren im gegenwärtigen Zustand oder ein langfristiger Versuch einer Instandsetzung bedeutet m.E. außer der Preisgabe des nun nicht mehr einsatzfähigen Schiffes die Opferung der Besatzung.”

Als die Tirpitz am 12. November 1944 endgültig versenkt wurde und 971 Mann starben, war dies vor allem die Konsequenz von Fehleinschätzungen, falschem Ehrgeiz und Verantwortungslosigkeit, mit denen sich die Marineführung gegenüber dem Führer behaupten konnte.

Die Handlungsfreiheit der Admiralität gegenüber Hilter, wie sie sich im Fall der Tirpitz offenbarte, steht in krassem Widerspruch dazu, wie sich die einstigen Eliten Nazideutschlands nach dem Krieg von jeglicher Verantwortung freisprachen. “Hitler war’s”, betitelte der Historiker Hannes Heer – nach einer in der Nachkriegszeit gebräuchlichen Redewendung – ein Buch, in dem er die vorgebliche “Kollektivunschuld” der Kriegsgeneration kritisierte. Der Untergang der Tirpitz belegt: Hitler war’s beileibe nicht allein.

Neuerscheinung: Kurzgeschichte zur Versenkung der Tirpitz
Ralf-Thomas Hillebrand: «Das letzte Schlachtschiff». In: «Nordmeer: Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten» (Band 3), Norderstedt/Berlin 2019 (www.ralf-thomas-hillebrand.de/band3, eBook).

Leseprobe: Komplettes kostenloses eBook der Reihe „Nordmeer“:
Ralf-Thomas Hillebrand: „Die Wiederentdeckung Vinlands”; In: “Nordmeer – Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten (Band 1)”, Berlin 2019. Download (gratis): www.ralf-thomas-hillebrand.de/vinland